Kulturgutschutz in Europa und im Rheinland. Franziskus Graf Wolff Metternich und der Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg
Ort: LVR-Kulturzentrum Abtei Brauweiler, 50259 Pulheim
Veranstalter: LVR-Kulturzentrum Abtei Brauweiler, Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, Vereinigte Adelsarchive im Rheinland e.V.
Datum: 19.09.-21.09.2019
Von: Julia Schmidt (Mainz)
Die interdisziplinäre Fachtagung zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg vermittelte facettenreiche Einblicke in die Arbeitsweise der Provenienzforschung und informierte über Strukturen und Akteure, die den Kunstschutz im Rheinland, aber auch in Ländern wie Italien, Griechenland, Frankreich oder Russland bestimmten.
Ausgehend von Franziskus Graf Wolff Metternich, der sowohl im Rheinland als auch im militärischen Kunstschutz in Frankreich, besonders Paris, seine Spuren hinterließ, stellten 30 Referent*innen ihre aktuellen Forschungen zum Kunstschutz in Europa und im Rheinland vor. Für den rheinischen Kontext wurden konkrete Beispiele der regionalen Kunst-, Archiv- und Bibliotheksschutzmaßnahmen thematisiert. Die Präsentationen von internationalen und transdisziplinären Ansätzen zum Kulturgutschutz in Kriegszeiten erörterten Fragen aktueller Präventionsmaßnahmen.
Zudem diente die Tagung als Austausch- und Diskussionsforum, zur Präsentation der Ergebnisse des in Brauweiler durchgeführten und durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste geförderten Quellenforschungsprojektes („Bereitstellung von archivischen Quellen aus deutschen, französischen und englischsprachigen Archiven für die deutsche und internationale Provenienzforschung zu Kunstschutz und Kunstraub im Zweiten Weltkrieg“), als Ort für internationale Forschungsvernetzung und trug mit der Öffnung von Archivbeständen zum Kunst- und Kulturgutschutz zu weiteren Forschungen bei. Durch eine Postersektion und das abschließende Vernetzungstreffen zu Personennetzwerken, entstand ein reger Austausch und mündete in der Diskussion um die Fragen, wie die Provenienzforschung ihre Forschungsprojektergebnisse in Zukunft besser verknüpfen und präsentieren könne.
Im Rahmen der Begrüßung und Einführung wurden von ANNE HENK-HOLLSTEIN (Vorsitzende der Landschaftsversammlung des LVR, Köln), PETER WEBER und MARK STEINERT (Pulheim) besonders die Wichtigkeit der Auseinandersetzung mit dem deutschen militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg sowie die Bedeutung des Tagungsorts, der Abtei Brauweiler als LVR-Kulturzentrum, erörtert. Dieses ist mit seiner Nutzungsgeschichte seit dem Mittelalter über die Säkularisierung, Funktion als Psychiatrie und Internierungsanstalt sowie Konzentrationslager im NS-Regime, bis hin zur heutigen Nutzung durch die Landesdenkmalpflege oder die Archivberatungs- und Fortbildungsstätte, bedeutungsvoller Ort für die Tagung gewesen. Die Landeskonservatorin ANDREA PUFKE (Pulheim), RAPHAEL FREIHERR VON LOË (Weeze) und UWE HARTMANN (DKZ Magdeburg), begrüßten die Tagungsbesucher*innen mit Einblicken in die Arbeit und Ausrichtung der jeweiligen gastgebenden Organisationen. Im Abendvortrag skizzierte CHRISTINA KOTT (Paris) die Entwicklung des deutschen Kulturgutschutzes im Ersten Weltkrieg und deren Fortsetzung im Zweiten Weltkrieg.
Anhand der ersten Sektion konnte ein Bild zu getroffenen Schutzmaßnahmen in Frankreich vor dem Angriff der Deutschen durch ARNAUD BERINET (Paris) sowie zum juristischen Ursprung und dem Fortleben der Werte der Haager Konvention durch SABINE FREIFRAU VON SCHORLEMER (Dresden) vermittelt werden. Als Einschub fand der Impuls von MAIKE HOPP (Hamburg) zum generellen Umgang zur Provenienzrecherche statt. Im Anschluss erfolgte die Vorstellung des Hauptprotagonisten der Tagung, Franziskus Graf Wolff Metternich, durch ESTHER HEYER (Brauweiler/München), die seine Biografie als Kontextforschung in ihrem Dissertationsvorhaben bearbeitet. Sie dankte auch den anwesenden Nachfahren Franziskus Graf Wolff Metternichs herzlich für die Nutzbarmachung des Nachlasses und begrüßte auch Familienangehörige anderer ehemaliger Kunstschützer, die an der Tagung teilnahmen. Bereits in der Diskussion nach der ersten Sektion zeigte sich der Wunsch nach mehr Vernetzung im Kreis der Provenienzforschenden, was zu ersten Gesprächen bei ausgestellten Postern zum Themenbereich „Kunstschützer*innen“ führte, die Netzwerke und Protagonisten des militärischen Kunstschutzes vorstellten und fortan in jeder Pause diskutiert wurden.
Fallbeispiele zum Kunstschutz in Frankreich bestimmten die zweite Sektion. STEFAN MARTENS (Paris) zeigte die historische Ebene der deutschen Militärverwaltung und ihrer Arbeit in der Besatzungszeit in Frankreich auf und ISABELLE LE MASNE DE CHERMONT (Paris) erörterte die praktischen Tätigkeiten des französischen Kulturgutschutzes unter der Aufsicht des deutschen militärischen Kulturgutschutzes. Mit SUSANNE DÖRLERs (Marburg) Vorstellung der durch das Kunsthistorische Institut Marburg durchgeführten Fotokampagnen und den Beiträgen von SABINE SCHERZINGER und JULIA SCHMIDT (Mainz) zum ehemaligen Bestand der Bibliothek der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris, wurden Einblicke in deutsche kunsthistorische Tätigkeiten im besetzten Frankreich ermöglicht. CHRISTIAN HOFFMANNs (Hannover) Vortrag ergänzte dies durch die Vorstellung der Tätigkeiten der „Gruppe Archivschutz“. Mit seinem Impulsvortrag zum Zusammenspiel von Kultur und Wissenschaft unter deutscher Besatzung griff UWE HARTMANN (Magdeburg) die Bestrebungen des Kulturgutschutzes auf, eröffnete aber auch die ausgehende Fragestellung für die Diskussion, inwieweit die Kunst- und Kulturgutschützer wirklich am Schutz und Verbleib von Objekten in Frankreich (besonders Paris) interessiert waren, oder welche Interessen sie sonst verfolgten.
Die dritte Sektion (Table Ronde) ermöglichte die Präsentation des Kulturgutschutzes in weiteren besetzen Gebieten. CHRISTIAN FUHRMEISTER (München) stellte die Arbeit des Kunstschutzes in Italien vor und wies darauf hin, dass eine Differenzierung bei der heutigen Bewertung der Aktivitäten im Zweiten Weltkrieg unerlässlich sei. Ein Bereich, in den auch CHRISTOPH FRANKs (Mendrisio) Vortrag zur Dokumentationslage vorstieß, da das erhaltene Quellenmaterial nur einen Bruchteil der eigentlichen Dokumentation ausmache und somit eine Bewertung nur anhand von unvollständiger Überlieferung erfolge. Sowohl Protagonisten als auch die Tätigkeiten im militärischen Kunstschutz stellte ULRIKE SCHMIEGELT-RIETIG (Wiesbaden) mit der Tätigkeit Ernstotto Graf zu Solm-Laubachs in Russland vor. Der archäologische Kunstschutz in Griechenland wurde durch die Beiträge von RAIK STOLZENBERG (Athen/Trier) und ALEXANDRA KRANKELEIT (Athen) präsentiert. Sowohl die Verbindung zur Rauborganisation „SS-Ahnenerbe“ als auch der Umgang mit spezifischen Objekten (Beispiel: Wagenlenker von Delphi) informierten weitreichend über die Arbeitsweise der damaligen Kunst- und Kulturgutschützer. Im Impuls zum „Gesamtkonstrukt Kunstschutz“ von CHRISTINA KOTT (Paris) kamen ebendiese Interessenskonflikte unterschiedlicher Organisationen und der individuelle Umgang in der Arbeitsweise der Kulturgutschützer in den einzelnen Gebieten zur Sprache. Wichtiger jedoch sei eine differenzierte Sichtweise auf die Vergangenheit, damit eine Betrachtung ohne moralische Wertung vom heutigen Standpunkt aus erfolgen könne, was zur regen Diskussion einleitete. Führungen durch die Gedenkstätte (die Arbeitsanstalt wurde in der NS-Zeit auch als KZ genutzt) und durch die ehemalige Abteikirche ermöglichten das Kennenlernen der Geschichte des Tagungsorts.
Die vierte Sektion beinhaltete, neben dem Vortrag von KATRIN HAMMERSTEIN (Freiburg) zur themenorientierten Erschließung von Quellen zur Provenienzforschung in den Staatsarchiven in Baden-Württemberg, die Vorstellung des – im Rahmen des Projektes des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste und mit zusätzlicher Förderung seitens des LVR und der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. – archivischen Sachinventares zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg (www.kunstschutz-wolff-metternich.de). Das Sachinventar führt detaillierte Informationen zu Archivbeständen deutscher, französischer und englischsprachiger Länder, um gezielte Recherchen in den jeweiligen Archiven für die Provenienzforschenden zu erleichtern. Bereichert wurde die Einführung in die Datenbank von FLORENCE DE PEYRONNET-DRYDEN (Brauweiler/Lyon) und ESTHER HEYER (Brauweiler/München) durch die Vorstellung einer geplanten Zusatzpublikation zur Datenbank, die Aufsätze unterschiedlicher Forschender zu Protagonisten und Netzwerken im militärischen Kunstschutz und weitere Informationen enthalten wird.
Die fünfte Sektion fokussierte sich auf kunstschutzbedingte Maßnahmen während des Zweiten Weltkrieges im Rheinland. HANS-WERNER LANGBRANDTNER (Pulheim) stellte die Maßnahmen zum Archivschutz seitens der Archivberatungsstelle der Rheinischen Provinzialverwaltung im Rheinland und im angrenzenden besetzten Luxemburg vor. MICHAEL HERKENHOFF (Bonn) skizzierte die Evakuierungen bzw. stellte den dokumentierten Kriegsverlust der Bonner Universitätsbibliothek durch Fliegerangriffe vor und GUDRUN SIEVERS-FLÄGEL (Gummersbach) vermittelte anhand eines Ausstellungsberichtes zu „Beethoven. Evakuiert!“ den Prozess der Auslagerung der Bestände des Beethovenhauses Bonn in den Bergungsort Schloss Homburg im Bergischen Land.
Der heutige Umgang der Museen in NRW mit der Provenienzforschung wurde durch RUTH TÜRNICH (Köln) und UTE CHRISTINA KOCH (Münster) vorgestellt. Mit einer Broschüre zur Handhabung und der Zusammenstellung von notwendigen Arbeitsmaterialien sollen besonders kleinere Museen die Möglichkeit erhalten, fundierte und professionelle Provenienzforschung zu betreiben.
Durch den Impuls zur Überlieferung von Archivalien zum Kulturgutschutz im Rheinland am Beispiel des LVR-Archives, eröffnete WOLFGANG SCHAFFER (Pulheim) das Diskussionsfeld, das sich inhaltlich an die bereits am Vortag ergebene Auseinandersetzung mit der Dichte bzw. den Lücken in der Überlieferung von Archivalien verband.
Die sechste Sektion präsentierte die derzeitigen denkmalschützerischen Vorgehensweisen, Organisationen und Aktivitäten in Frankreich, Österreich und Deutschland. FLORENCE DE PEYRONNET-DRYDEN (Brauweiler/Lyon) stellte die Abläufe im französischen Denkmalschutz vor, ANNA M. KAISER (Krems) berichtete aus dem Alltag des militärischen Kulturgutschutzes des Staates Österreich und FRIEDERIKE WAENTIG (Köln) stellte den neu gegründeten Verein „Blue Shield Deutschland“ vor.
Die abschließende Podiumsdiskussion wurde von einem Redebeitrag von CHRISTOPH ZUSCHLAG (Bonn), der die Rolle der Universitäten am Beispiel der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn für die Provenienzforschung herausstellte, eröffnet und vereinte viele Redner der Vortage, die durch kurze Statements die Basis zur Abschlussdiskussion bildeten.
Deutlich stellte sich heraus, dass die seit den Washington Principles (1998) geleisteten Forschungsergebnisse einen besseren Zusammenschluss finden müssten, um derzeitige und zukünftige Forschungsarbeit, so lange sie durch Kurzzeitstellen und projektbezogenes Arbeiten finanziert werden, stärker zu verknüpfen, um den Fortbestand, eine raschere Einarbeitung und einen Abgleich von Ansätzen und Ergebnissen für die jeweiligen Forscher*innen zu ermöglichen. Ähnlich dem Sachinventar sollten für die Zukunft mehr Stellen entstehen, die gebündelte Informationen zusammenstellen. So verstand sich die Tagung abschließend nicht als ein Schlusspunkt, sondern als Impuls für eine Histoire croissée und will die Forschung im Kollektiv fördern.
Nach dem offiziellen Ende der Tagung fand ein Vernetzungstreffen (Leitung: ESTHER HEYER (Brauweiler/München) und ELISABETH FURTWÄNGLER (Berlin)) statt, das anhand der Plakate der Postersektion einzelne Forschungsprojekte vorstellte und Vernetzungspunkte für zukünftige Zusammenarbeiten schuf, womit die Tagungsorganisation direkt einen ersten Schritt in Richtung der geforderten Histoire croisée anbot.